Ostern am Schwarzen Meer

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Babuschkas und Bisnes

Alexandr versicherte uns, er habe eine Ersatzwohnung, die noch besser sei, als die, welche wir gebucht haben; wir haben uns 10:00 Uhr bei der Adresse verabredet. Also warten wir vor dem Eingang zum Ersatzdomizil. Ein orthodoxer Jude spaziert an uns vorbei, seine beiden kleinen Töchter rechts und links an der Hand. Vor dem Laden “Make My Cake” (hier gibt es individuellen Kuchen, Coffee-to-go und Klimbim) steht das perfekt gestylte Hipster-Bike. Entsprechender Zopfträger nippt am Kaffee und touchscreent dabei sein Smartphone. Ein Asiate telefoniert im Vorbeihetzen in asiatischer Sprache. Wenig später drei Jugendliche, die sich auf arabisch verständigen. Innerhalb einer Minute begegnen sich verschiedenste Kultursphären und bilden Alltag. Zweie sitzen auf dem Bordstein, die Rucksäcke lehnen an einer Platane.
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Lviv – Odessa

lviv-odessa_1Mein neues Lieblingsgetränk: Zugtee mit zweimal Zucker für 3 Griwna. In der Nacht halb eins sitze ich auf dem Klappsitz im Gang, weil es im Abteil zu heiß ist und ich nicht schlafen kann. Zudem schnarcht Jens wegen der Wodkaverkostung in der Dämmerung und unsere Abteilbegleitung besteht aus einer depressiv dreinschauenden Mutter mit ihrem stillen Sohn, die beide keine Gesprächspartner abgeben. Draußen ziehen im Dunkel Felder, Industrieanlagen und verlassen wirkende Dörfer vorbei, bis Odessa sind es jetzt noch sieben Stunden. Mein Tee zieht seit drei Minuten, ich bin allein, alles schläft, nur die Deshurnaja ist noch wach und sortiert in ihrem Abteil leise murmelnd die Tickets, die sie beim Losfahren eingesammelt und gegen frische und vor Stärke raschelnde Bettwäsche getauscht hat.
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Der Versuch, zu verstehen

Das dritte AugeAls ich versuche, die Oper der Stadt in meine 50mm Festbrennweite zu stopfen, was an ihrer schieren Größe und der Starrheit meines Blicks scheitert, werde ich angesprochen. Erst auf ukrainisch, ich verneine nett in russisch. Dann in russisch. Ich verneine wieder. Dann polnisch. Dann englisch. Jetzt verstehe ich. Ein „Guide“ bietet uns seine Dienste an, die ich nach kurzem Verhandeln auch annehme.
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Gde nachoditsa Wogsal?

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Halbzehn, auf zum Bahnhof, Zugtickets kaufen. Die grobe Richtung kennen wir, gestern waren wir bereits da, ich stellte mich am ersten Schalter an und erfuhr dort, welcher Schalter der richtige gewesen wäre, also Anstellen bei Schalter Nummer Neun. Beim Anstehen kommt es auf die richtige Erziehung an, einmal noch kurz die Freiheit einatmen und dann stehen, in der Schlange, Geduld üben, langsam ein- und ausatmen. Dirk fing schnell an herumzutänzeln: “Ich geh rüber zur Information, da ist keine Schlange. Ich frag mal, ob wir das auch online machen können.” Nach kurzer Zeit kam er zurück mit einem Zettel: “Hier, hör auf hier rumzustehen, die Angestellte war sehr freundlich und hat mir alles aufgeschrieben.” Also ab ins Domizil, online buchen. Es regnete heftig, wir nahmen ein Taxi. Der Taxifahrer gab 50 Grivna als Beförderungspreis an, wir fuhren los, ich redete mit Dirk Belangloses.
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Berlin – Lviv

Busschild
ZOB Berlin, es hagelt. “Tscheres tritsatch minut” sagt der Busfahrer am Telefon.
Zweie sitzen auf der Busbahnhofsbank, die letzte Sportzigarette ist weggeraucht, eine Mülltonne wird vorbeigeschoben.
Der Bus scheint überbucht zu sein. Russisch, Ukrainisch, Deutsch. Reihenfolge bedingt durch die Menge der Wortfetzen in jeweiliger Sprache. Die Sitzlehnen sind eindeutig zu kurz. Der Kopf ragt über und der Hals schmerzt nach wenigen Minuten in zurückgelehnter Haltung. Das Wetter ist ausreichend gut, perfektes Busreisewetter. Weiterlesen

Von Zweien, die auszogen

Die letzten Erledigungen vollbracht. Was jetzt schiefgeht, musste schiefgehen. Was jetzt noch fehlt, wird nicht gebraucht. Koffer gepackt, Kühlschrank abgetaut, Stecker raus, Nachsendeauftrag. Morgen gehts also los ins augenscheinliche Krisengebiet, mittendrin statt nur im Internet und noch viel weiter. Die nächste Meldung und die ersten Bilder dann schon aus der Ukraine.

Zwei Stunden vor Abfahrt:

Die Reise zur Reise

Bus Berlin-Lemberg: Check. Flieger von Sotchi nach Erewan: Check. Flieger von  Baku nach Taschkent: Check. Billiger und einfacher als gedacht. Alles andere dann auf Zuruf. Treiben lassen in den Grenzen von Flugplänen und internationalen Visabestimmungen. “Jens, wie kommen wir eigentlich nach Baikonur?” “Am Bahnhof gucken, wann ein Zug fährt, dann einsteigen.” Ich bin gespannt. FSME-Schutzimpfung nicht vergessen. Motivationsschreiben für die Botschaft. “Nein, wir nehmen keinen Gyrocopter mit.” “Aber der ist zerlegbar!”  Handy-Navigation wird nicht funktionieren oder zu teuer sein, also: Landkarten kaufen. Gewohnheiten auf Mitnahmefähigkeit überprüfen. Cool bleiben. Vielleicht doch nicht auf die Krim fahren.

Krim oder nicht Krim

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Während Russlands Militär die Krim besetzt bzw. die öffentliche Ordnung auf der Halbinsel sicherstellt, sitzen wir in einem Friedrichshainer Cafe und füllen Visaanträge aus.
Nachdem wir uns durch Ho(r)den von Vollbärtigen in Silberleggins, spanische Touristengruppen und vereinzelt auch Werktätige gekämpft haben, sind wir nun zum Glück keine Australier, denn sonst bräuchten wir einen lückenlosen Lebenslauf in kyrillisch, um nach Russland einreisen zu dürfen. Unser Pass reicht. Deutsche Pässe, ein paar biometrische Bilder, mehrsprachige Formulare und eine zuvorkommende Sekretärin im “Fettes Brot”- T-Shirt in der Visaagentur – wenn wir das tatsächlich alles genehmigt bekommen und in all diese Länder rein und auch wieder raus dürfen, dann können wir uns wohl als ausgewiesene Fachmänner für Visa- Angelegenheiten ostwärts von Deutschland bezeichnen. Und drei Kreuze machen.

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Sibirische Fischsuppe

Ich habe das nur rudimentär verstanden. Aber der alte Mann, dessen Namen ich heute schon vergessen habe, sagte, er sei nach dem zweiten Weltkrieg aus einem Arbeitslager in Zentral-Sibirien auf die Krim gelaufen. Er wohnte für sich allein ein Stück außerhalb eines kleinen Dorfes am Asowschen Meer, fast siebzig, braungebrannt, sportlich und die Finger an seiner rechten Hand gelbbraun vom Rauchen. Er machte Fischsuppe, indem er zwei Fische, die er geangelt hatte, mit einem gekonnten Schnitt am Bauch aufschlitzte, sie samt Kopf und herausgetrennten Eingeweiden zu ein paar Möhren und Petersilie in einen Topf warf und die halbe Stunde Kochvorgang mit dem Trinken von Konjak und dem Drehen und Rauchen von Zigaretten ohne Filter überbrückte. Unter seinem offenen Hemd schimmerte das Gesicht Lenins durch, was er sich selbst auf seine Brust tätowiert hatte. Ich nahm ein gekochtes Fischauge zwischen die Zähne und ließ es platzen. Es schmeckte hervorragend.