Ostern am Schwarzen Meer

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Babuschkas und Bisnes

Alexandr versicherte uns, er habe eine Ersatzwohnung, die noch besser sei, als die, welche wir gebucht haben; wir haben uns 10:00 Uhr bei der Adresse verabredet. Also warten wir vor dem Eingang zum Ersatzdomizil. Ein orthodoxer Jude spaziert an uns vorbei, seine beiden kleinen Töchter rechts und links an der Hand. Vor dem Laden “Make My Cake” (hier gibt es individuellen Kuchen, Coffee-to-go und Klimbim) steht das perfekt gestylte Hipster-Bike. Entsprechender Zopfträger nippt am Kaffee und touchscreent dabei sein Smartphone. Ein Asiate telefoniert im Vorbeihetzen in asiatischer Sprache. Wenig später drei Jugendliche, die sich auf arabisch verständigen. Innerhalb einer Minute begegnen sich verschiedenste Kultursphären und bilden Alltag. Zweie sitzen auf dem Bordstein, die Rucksäcke lehnen an einer Platane.

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Odessas Straßen

Als er uns entdeckt, ist Alexandr aufgelöst und erschüttert und redet auf uns ein: “Ja dumal wui parui. Wam nado dwuch komnatnui kwartir, prawilno?” Er würde eigentlich nicht zwei Männer in einer Einzimmerwohnung unterbringen. Er hätte uns falsch verstanden und uns für ein Pärchen gehalten. Sofort telefoniert er herum, bekommt aber keine Zusage für eine andere Wohnung. Wir verständigen uns darüber, dass er uns erstmal die Pärchenwohnung zeigt. Sie ist gut saniert und sauber, ein ausgezogenes Riesensofa bildet das Zweierbett, der Fernseher läuft bereits aus irgendeinem Grund. Wie bei allen ukrainischen Sendern sieht man in der einen Ecke des Bildschirms das jeweilige Logo, in der anderen Ecke weht die ukrainische Fahne, darunter wechseln die Slogans “Eine Ukraine!” und “Ein Land!”. Wir haben die Lautstärke des Boilers und des Hinterhoflebens noch nicht mitbekommen und sagen, dass wir die Wohnung nehmen.

Schwarzmeeridylle am Betonstrand

Schwarzmeeridylle am Betonstrand

Odessa ist Urlaub pur, das Wetter ist perfekt für den ersten Sonnenbrand. Das jüdische Viertel in welchem wir wohnen ist wie die gesamte Innenstadt in quadratische Karees aufgeteilt. Die Straßen sind riesige Alleen. Die reich verzierten, maroden Fassaden der Häuser scheinen auf eine noch zu erfindende Technologie zu warten, welche es ermöglicht, zu sanieren und gleichzeitig die Verzierung zu erhalten, anstatt sie mit Dämmmaterial zu überkleben und einheitlich zu verputzen. Da es weder Super-, noch Baumarktketten gibt, findet man zwischen den “Produktui”-Tante-Emma-Läden auch gleichkleine Läden, die Fenster und Türen verkaufen. Bewohnt bedeutet längst saniert, was man an den Alu-Plastik-Rahmen der Fenster erkennt. In vielen Ecken ragen Wohnwolkenkratzer aus dem altehrwürdigen Stadtbild hervor. Der Plattenbau ist mitsamt seinen Produktionsstätten längst privatisiert, Architekten haben das sozialistische Einheitsbild der Platte überarbeitet. Fertigwände werden neu gestylt und als Luxuswohnungen an die solvente Kundschaft wie geschnitten Brot verkauft. Odessa ist eine schöne, saubere Urlaubsstadt mit einem gut integrierten Mittelstand.

Kirche und Bisnes

Kirche und Bisnes

Es ist Ostersonntag, alle Ruinoks sind geschlossen, wenige Stände verkaufen Körbchen, die zum ostersonntäglichen christlichen Ritual gehören. Für Spätentschlossene gibt es die Körbchen auch an den Ständen vor den Kirchen zu kaufen. Die halbe Stadt prozessiert in Familiengruppen, mitsamt von bestickten Handtüchern bedeckten Körbchen zur Kirche des Vertrauens, wo sie dann die Dinge machen, die Atheisten wie uns für immer unerklärlich bleiben werden.
Die Demut, mit welcher die Besucher ihren Prozeduren in den Kirchen nachgehen, hat für mich schon fast etwas Unanständiges. Das liegt bestimmt nicht nur an dem kurzen Rock der bekopftuchten jungen Frau, die nach mehrmaligem Bekreuzigen zärtlich und selbstvergessen ihre Lippen kurz auf ein Heiligenbild drückt. Hinter einem Stand in einer Ecke der Kirche stehen Mönche und verkaufen Kunstdrucke von Ikonen an die in Schlange stehende Kundschaft.

Hinter dem Bahnhof

Hinter dem Bahnhof

Die Straßen sind so gut wie leer und nur der konfessionslose Rest schlendert die Alleen entlang. Auf dem Weg zum Bahnhof sind wir ein paar Straßen weiter gegangen. Hier, in der Nähe der Schienen, kümmert sich niemand um Ostern. Die Straßen sind verstaubt und arm. Jeder geht seinem Geschäft nach, so gut es geht. Straßenbahnen kurven über Gleise, denen man keinen Halt mehr zutraut. Jemand hämmert geduldig rostige Eisennägel aus den Bohlen, weicht nur kurz einer vorbeifahrenden Straßenbahn aus und von seiner fragwürdigen Arbeit ab.
In Odessa ist es vorstellbar, dass man sich in Städte verlieben kann. Die Ehrlichkeit eines Zusammenlebens von grundlegend Verschiedenem zieht mich an. Man darf mir Urlaubsromantik unterstellen, berechtigterweise. Denn das bin ich, ein Urlauber, der keine Ahnung vom hiesigen Alltag hat. Zwei uniformierte, nichtstaatliche Milizen eilen aus einem Hinterhof über die Straße und steigen in einen Lada. Bei dem Einen hängt lässig eine Kalaschnikow zwischen Hüfte und Arm. Ich mache kein Foto. Ich bin lieber feige.

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