Kasachisches Bisnes und zweitausendfünfhundert Kilometer

Zweie vor Plastik

Zweie vor Plastik

Der eigentliche Fahrkartenschalter ist noch weit entfernt. Anstatt des „Taxi, Taxi, Taxi“ Gesangs vor der Bahnhofshalle, entsteht nun aus „Ticket, Ticket, Ticket“ die Hintergrundmusik. „Sag schon, wo wollt ihr hin?“ unterbricht jemand unseren Gang zur Schalterangestellten. „Astrachan“ antworte ich, ohne mich zu ihm zu wenden. Die Südstrecke durch Kasachstan geht über zweieinhalbtausend Kilometer. „Bei mir kostet das Ticket 20000.“ Ich drehe mich zu dem auskunftsfreudigen Verkäufer. „Aha,“ sage ich „aber wie funktioniert das, dass du mir den Fahrpreis günstiger anbieten kannst?“

Kartenverkauf hinter der Grauzone

Kartenverkauf hinter der Grauzone

„Wir sind Kasachen“ antwortet er und führt uns zu einem Terminal, an dem man sich die freien Plätze in den Zügen anzeigen lassen kann. „Wir kaufen keine regulären Tickets, das ist uns zu teuer.“ Er zeigt auf den Bildschirm „Siehst du, wie viele freie Plätze es gibt? Niemand kauft hier Tickets. Die kosten 5000 mehr.“ „Also, wie funktioniert dann euer System?“ frage ich. „Ich gebe dem Zugbegleiter vor Abfahrt eine Liste mit den Namen der Passagiere, die bei mir eingekauft haben.“ Er wird redselig „Außerdem bekommt der Zugbegleiter von mir seinen Anteil am Verkaufspreis. Das ist völlig sicher, alle Kasachen machen das so.“ Neben uns kauft gerade eine zumindest kasachisch sprechende Familie ihre Tickets am Schalter. „Ja,“ sage ich „ aber wir sind keine Kasachen, sondern anstrengende Deutsche. Wir brauchen ein offizielles Ticket in der Hand, damit wir uns sicher fühlen. Ein Ticket könntest du uns aber nicht geben, wenn wir bei dir kaufen, richtig?“ Er sieht aus, als würde er sich ärgern über seine Ausführungen, die unsere Skepsis nicht verhindern konnten. „Nein, aber ihr steht ja dann auf der Liste. Das ist todsicher und billiger.“ Ich verneine sein Angebot: „Danke, aber wir bezahlen lieber mehr und haben dann ein Ticket in der Hand.“ Er winkt ab: „Ja, dann geht doch zum Schalter und lasst mich in Ruhe.“ Er ist so schnell verschwunden, wie er anfangs auf uns einredete.

Hightech und Bahnsteig

Hightech und Bahnsteig

Auch der Kauf am offiziellen Schalter ist suspekt ab dem Moment, als Dirk mit Karte bezahlen will. Die Schalterangestellte steckt die Karte hinter dem Fenster in ein mobiles Lesegerät und fragt Dirk nach der Geheimnummer. Die geben wir ihr natürlich nicht. Sie muss also aus dem Schalterraum herauskommen, damit Dirk die Nummer selbst eintragen kann. Auch der Preis ist seltsam, genau 20000 pro Person. Unsere wichtigste Vorbedingung ist nun aber erfüllt: wir haben zwei ausgedruckte und offiziell aussehende Tickets in der Hand. Einen Tag später stehen wir auf dem Bahnsteig, der Hightech-Plastikwagon erwartet uns mit offenen Türen. Ich kaufe Zigaretten an einem Bahnsteigkiosk. Am Tisch sitzt die Verkäuferin mit einem Gast, dieser leert ein kleines Fläschchen Brandy. „Verkaufst du Zigaretten?“ frage ich. Sie geht zum Tresen und holt unter dem Ladentisch die zwei Sorten heraus, die sie anbietet. Scheinbar hat sie keine Erlaubnis, Zigaretten zu verkaufen. Das bringt mich auf eine Idee: „Dann hätte ich noch gern ein Fläschchen von dem, was er da trinkt“ Bereitwillig zieht sie auch eine baugleiche Flasche unter dem Tresen hervor und nennt mir den Preis. Stolz gehe ich zum Wagon zurück.

Bahnhof und Bisnes

Bahnhof und Bisnes

„Darf man im Zug rauchen?“ frage ich die beiden Zugbegleiter am Eingang des Wagons. „Nein, darf man im ganzen Zug nicht“ antworten sie simultan. „Es gibt keinen Raucherplatz im Zug auf der langen Strecke?“ Der eine zwinkert mir zu: „Ich zeige dir später die Möglichkeit.“ Also frage ich nochmal nach, nachdem er den Zug und seine Eigenheiten erklärt hat. Ein Zug chinesischer Bauart mit kurzen Wagons. Man kann komplett durchgehen, ohne Zwischentüren öffnen zu müssen. Die Vier-Betten-Kupees sind etwas kleiner als in den Wagons alter Bauart. „Für 4000 zeige ich dir, wie und wo du ohne Probleme rauchen kannst.“ Ich übersetze Dirk, 18 Euro sind uns zu heftig. Das wäre unser letztes Bargeld und das hätten wir gerne für die Marschrutka nach Russland. Später sage ich zu unserem Zugbegleiter: „Für 2000 hätten wir gerne deine Informationen, wir brauchen noch etwas Geld bis Russland.“

Plastik und Bisnes

Plastik und Bisnes

Er und ein „Qualitätsoffizier“, der uns später Fragebögen zur Zugfahrt geben will, zeigen mir das Klo. Hier gibt es einen ständig rotierenden Abzug und keinen Feuermelder. Wenn man weitere fünf Minuten nach der Zigarette drin bleibt, ist der Rauch abgezogen, so die Erklärung. Hätte man auch selber drauf kommen können. Wir sehen die 2000 eher als Bezahlung für das Protektorat. Falls es doch wegen Rauchgeruchs zu Komplikationen kommen sollte, werden wir von den Zugbegleitern nicht belangt.

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