Schon wieder der Staatsanwalt

Er war selbst noch nie dort, aber es soll da ganz hervorragendes Essen geben – unser Freund Igor hat uns ins – laut seiner Aussage – beste Restaurant der Stadt eingeladen. Letztendlich musste ich vor dem Essen dort flüchten und esse gerade ein warmes Brötchen gefüllt mit Hack, Zwiebeln und Knoblauch am tatarischen Straßenimbiss. In der Hand sieht es aus, als hätte ich in ein Aliengehirn gebissen. Aber von vorn:
Das Schild mit dem Namen des besten Ladens der Stadt konnte ich nicht lesen, da es nicht beleuchtet war. Will heißen: die Lampe war kaputt. Also keine Absicht. Im Vorraum des Kellers, in dem sich das Restaurant befindet, begrüßte mich ein hagerer Mann in den verzweifelten 50ern, der an einen Eisverkäufer in den 90ern im Leipziger Capitol erinnerte. Sein ehemals weißes Hemd war milchig wie seine Zähne; sein asymmetrisches, krudes Gesicht auf seltsame Art liebenswürdig. Der arme Mann, musste hier Jacken aufhängen, für uns, die einzigen Gäste.
Im Gastraum erwarteten mich drei Damen, die hier zu arbeiten schienen. Oder einfach abhingen, wie der Typ im Vorraum unsere Jacken. Ein Kühlschrank ohne Tür arbeitete gegen die Zimmertemperatur. An der Bar hatte seit Ewigkeiten keiner mehr gesessen, denn auf ihr befand sich ein buntes Stelldichein diverser Kunstblumen, die nicht mehr an die Wände des Ladens gepasst hatten. Aber es gab eine Speisekarte. Ich bestellte einen Salat mit Pilzen, eine Fischsoljanka und Schweinefleisch, wieder mit Pilzen. Das war das einzige, was ich nehmen konnte, denn Stör, Rind und Wild sind anscheinend gerade aus. Jedes Essen für sich war nahezu ungenießbar, ohne jetzt auf jede schlechte Einzelheit eingehen zu wollen. Das würde ich mir nicht mal selbst kochen. Der Wein schmeckte wie Traubensaft mit Wasser und Benzin. Als ich doch lieber Bier bestellte, ging eine der drei Damen los, um im Eckladen welches zu kaufen.
Zum Restaurant wurden wir vom Staatsanwalt gebracht, mit dem wir schon Borschtsch im Kulturzentrum gegessen hatten und der seine Mädels am Bushof laufen lies, wie er sagte. Jakob Kuvaldin, schwarze Jogginghose, schwarze, zu große Lederjacke (für russische Verhältnisse passt sie perfekt), dunkelbraun getönte Brille, Sommerschapka mit steifem Plastikschirm, natürlich in schwarz. Er lud uns in seinen fast neuen Lada Niva, der mit zahlreichen Anbauteilen aus dem Baumarkt aufgewertet war. Ich ohne Gurt auf der Rücksitzbank, hinter mir plärrten die Boxen in voller Lautstärke Scooters „How much is the fish?“. Ich saß auf der Rückbank und krallte mich aus Angst vor Jakobs kaputter Fahrweise und der Musik hinter mir in fremde Oberschenkel. Mit 160 bpm auf dem Mittelstreifen durch die ukrainische Nacht. Ich glaube ja, er machte das mit der Musik und dem Rasen nur, weil wir Deutsche sind. Deutsche mögen schließlich schnelle Autos und vor allem mögen sie Scooter.
Der Grund von Igors Besuch war aber eigentlich die Verkostung des in seiner Küche selbst gebrannten Likörs. Dunkelbraun, nach Nüssen riechend, aus Zucker und Hefe hergestellt und mit geschätzten 60 Umdrehungen. Ich lehnte lachend ab und sagte, dass ich „sick“ sei, die Jungs hauten sich 50 Gramm rein. So müssen alte Männer bei der Darmspiegelung aussehen. Ansatzlos bat uns Igor wiederum die Dienstleistungen einer Prostituierten an, ein Blow Job läuft doch immer. Wir lehnten ab und gingen lieber mit ihm essen, das schien uns das kleinere Übel zu sein.
Jetzt beisse ich in das Hackbrötchen und gucke auf die Straße.
Dann werde ich vom Staatsanwalt und seiner Horde bei einem ihr nächtlichen Streifzügen entdeckt und unter „Ich habs dir ja gesagt, geh nicht mit Igor mit!“-Rufen ins Auto und ins nächste Restaurant befohlen, mir wird recht schnell mein neuer Freund vorgestellt, mit dem ich nun trinken müsse. Slava stellt sich selbst vor, indem er mir lachend sämtliche Fingerknochen der rechten Hand auskugelt. 140 Kilogramm, drei Viertel davon über der Gürtellinie. Glatze, Arme wie Beine, Werftarbeiter, der jetzt sein eigenes Bisnes macht. Nebenbei spielt er in einer Grindcore- Band und ist zudem der Cousin von irgendjemandem, was ihm ermöglicht, mich hier, im besten Laden der Stadt, auf die besten Koktebel-Liköre einzuladen. Zum Glück hab ich Hackbrötchen gegessen.

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