kat_1

Die Katakomben von Kerch

Mit Spritzen- Igor nicht nur am Ende, sondern auch am Arsch der Welt.

Am Eingang Kot, Knochen, abgeschnittene Colaflaschen. Hier drinnen haben sich also die Partisanen versteckt, als die Deutschen kamen und ihre Frauen und Kinder töten wollten. Geholfen hat es ihnen nicht, denn wie wir wissen, waren die Deutschen dieser Zeit erbarmungslose Monster und alle sind gestorben. Hier geht es laut Aussagen unseres ukrainischen Expeditionsleiters Igor in die 14 Quadratkilometer großen Katakomben unter der Stadt im Osten der Krim.
Hierher gekommen sind wir im Trolleybus. Auf einer vierzig Jahre alten Sitzbank aus glänzendem Holz rutsche ich unruhig umher, da mich die Schaffnerin anschaut, als hätte ich ihre minderjährige Tochter unerlaubt defloriert. Als wir an der Endstelle aussteigen, einer Wendeschleife mitten in Buschwerk und Altreifen am letzten Rand der Stadt, sind wir seit sechs Stationen die letzten Fahrgäste. Es wird dunkel. Den zweiten Teil der Strecke bestreiten wir in einem in den 80ern aus Deutschland halblegal ausgeführten Transporter, der zum Bus mit 15 Sitz- und Bückplätzen umgebaut wurde. Eine Fahrt, egal wie weit, kostet einen Grwina. Auch hier, wie überall anders, werden wir, diesmal von alten Frauen mit blondierten Dutts (man nennt sie hier Nukes) argwöhnisch begutachtet und offenkundig diskutiert. Leider sind meine Russischkenntnisse noch zu schlecht, als dass ich sie verstehen könne, aber ihre Körpersprache spricht Bände.

Igor, unser Expeditionsleiter, hat sich vor kurzem erst seine selbstgemachten Amphetamine einverleibt. Dann hat er während der Hinfahrt unverständlich stammelnd auf Gebäude und auch mal ins dunkle Nichts gezeigt. Aber er war sehr freundlich. Was ich aus seinem wirren Gerede heraushöre, ist sein Wunsch, unser Berater in Sachen illegaler Pharmazeutik zu werden. Ich werfe einen zweiten Blick auf sein Gesicht und halte mir seine bisherigen Aussagen nochmal vor und sage ganz nett danke, nein. Ob denn Interesse an einer Frau bestünde? Seine Freundin sei schon im sechsten Monat schwanger, aber sie könne fantastisch blasen. Die berühmte osteuropäische Gastfreundschaft kann echt lästig werden. Als ich nach der Ausstattung für unsere Unterwelt-Tour frage, bekomme ich zwei chinesische LED-Taschenlampen und ein Feuerzeug präsentiert.


Die Luft hier unten ist trocken und still, die Inschriften in den glatten Wänden zeugen von Bergbau (aus diesem Stein wurde die Stadt gebaut), Partisanen („Tötet alle Deutschen“) und dummen Jugendlichen (Hakenkreuze). Überall liegt Band aus Musikkassetten auf dem Boden als Wegweiser. Nahezu berauschend war der Anblick des etwa vier Meter hohen Haufens Scheiße, der durch ein großes, etwa 20 Meter tiefes Loch aus irgendeiner Kanalisation hier unten entstanden ist. Ich habe mir das nicht näher angeschaut.
Igor holt zur Stärkung ein paar Dosen „Revo“ hervor. In Deutschland fällt das unters BTMG. Taurin, Koffein, zwei Antidepressiva, drei weitere Sachen mit -in und reichlich Alkohol. Ich trinke nur eine viertel Dose und höre meinen Herzschlag in den Ohren.
Ich bitte zum Ausgang, was nach einer halben Stunde Suchen auch klappt. Igor verabschiedet sich wie ein richtiger Ukrainer, er war irgendwann einfach weg. Kurz vor seinem Verschwinden schlug er aber noch vor, das doch mal mit deutschen Touristen zu machen, die fänden das bestimmt lustig. So für zwei Euro oder so. Ein bisschen Scheiße angucken, denk ich mir, wird in Deutschland deutlich teurer verkauft.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>