hntrlnd » Bischkek http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Auf den Berg mit dem Teufel http://www.hntrlnd.de/?p=1023 http://www.hntrlnd.de/?p=1023#comments Mon, 16 Jun 2014 04:14:08 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=1023 Die Kreuzung im Nichts

Die Kreuzung im Nichts

An Kreuzungen wie dieser wacht man auf, wenn man in der Nacht zuvor dem Teufel seine Seele verkauft hat. Staubig, genaugenommen ohne jegliche Umgebung, fern wartet in einer Richtung die Stadt, in der anderen etwas nebulös-unglaubliches, weit, weit oben in den Wolken, was es zu erobern gilt. Wir kamen mit dem Bus Nummer 350 aus Karakol und teilten dem Fahrer mit den goldenen Zähnen das Kennwort „Arashan“ mit, woraufhin er uns an diesem verlassenen Ort aussteigen ließ. Was nicht einfach war; kurz vorher waren in den bereits überfüllten Bus 14 lachende Schulkinder samt gestrenger Lehrerin eingestiegen, ein Huhn wird gackernd in einer Kiste über meinen Kopf von hinten nach vorn gereicht. „Germania?!“ „Gutan Tak! Gitler kaput!“
Kaum ausgestiegen, begegnet uns ein homosexueller und verängstigter Malaie namens Ju-Win, der laut eigenen Worten von einem zwielichtigen und zahnlosen Kirgisen in der Hoffnung nach Geld seit einer Stunde verfolgt wird. Ich meine, was rennt der auch allein hier rum, ohne ein Wort Russisch zu sprechen. Er bittet uns, sich uns anschließen zu dürfen und wir sagen ja, denn wir glauben, nicht der Schwule ist der Teufel, sondern der Zahnlose. Aber wer weiß das schon so genau. Den Kirigisen verscheuchen wir mit bösen Blicken.
Keine Schilder können uns helfen, auf den rechten Weg zu finden, die paar Einheimischen drehen sich arbeitend weg, wenn wir in ihre Nähe kommen. Nach einer Stunde finden wir ein altes Häuschen im Wald, an dem drei starke Männer skeptisch zu uns schauen und sagen, wir seien falsch. Beim Versuch, wieder auf den Weg zum richtigen Oben, zum korrekten Platz unter der Sonne zu kommen, nimmt uns bergab ein großer Wagen mit, der in seinem Laderaum ein paar unschuldige Vorschulkinder geladen hat. Diese starren Ju-win böse an, wer als erster wegschaut, hat verloren. Der Malaie hockt schwankend-kleinlaut in der Mitte, als es über Stock und Stein bergab geht.
DSC03603Der Weg hinauf wird begleitet von einem reißenden Gebirgsbach, der Schmelzwasser und Hoffnungen auf ein schnelles Ankommen hinunterspült, denn es wird steiler und steiler. Kinder befüllen Wasserkanister, die an Pferden hängen. Wohlhabende oder alte Touristen sitzen in dürftig geschweißten und frisch lackierten Containern, die auf dem Rücken von sowjetischen Allradfahrzeugen den Berg hinaufgebuckelt werden. Sie schauen von oben auf uns herunter, wir auf sie hinab. Uns kommen Menschen zu Fuß entgegen, in westeuropäische Funktionsjacken gekleidet, mit Stöcken aus Metall in ihren Händen; doch egal, wie lange wir laufen, erzählen uns diese Menschen immer, es seien immer nur noch drei Stunden bis auf den Gipfel.
Der Malaie, der uns nun wie ein Schatten begleitet, erscheint mir zu schlau und er fragt zu viel. Egal, wie schnell wir die Berge hinauflaufen, er nimmt dasselbe Tempo, er meckert nicht, fragt nicht nach Pausen, lässt uns den Vortritt, wenn wir kleine Bäche mit Sprüngen überqueren. Er hat nur eine kleine Flasche Wasser bei sich und ein Stück trockenes Brot. Als wir uns zu einem Schäfer und seiner Herde setzen und mit ihm eine Zigarette rauchen, lässt sich der Schäferhund bereitwillig von uns streicheln, den Malaien bellt er ängstlich-agressiv an und will ihn beissen, als dieser ihn mit seinem Smartphone fotografiert. Auch der Schäfer ist skeptisch und zieht seinen Hund ganz nah zu sich heran. Kurz darauf verschwindet er mit seiner Herde wieder in die Hügel, Ju-win überspielt die Situation durch knappes Lachen und mit der Aussage, es sei ja nichts passiert.

Zwei Zigaretten für ein Foto

Zwei Zigaretten für ein Foto

Wie die Geschichte ausgeht, weiß ich noch nicht. Bestimmt böse. Vielleicht aber doch mit Happy End? Treffen wir Gott? Nein, den gibt’s ja gar nicht, ebenso wie den Teufel. Naja, wir werden sehen. Genauso wie noch mehr Bilder.

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Mit der Marschrutka von Bischkek nach Karakol http://www.hntrlnd.de/?p=973 http://www.hntrlnd.de/?p=973#comments Sun, 08 Jun 2014 06:02:36 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=973 Rauchpause im Nichts

Rauchpause im Nichts

Bevor die Reise beginnt, sprechen einige Fahrgäste ein Gebet. Ein alter Mann flüstertütet die abfahrenden Busse wie ein Muezzin, die Busfahrer werben für ihre Strecke mit dreifachem Rufen des Zielorts, Billets gibt es an der zentralen Kasse. Das Gepäckabteil des Sprinters, in dem wir gute fünf Stunden und knappe 400 km von Bischkek nach Karakol fahren werden, hat eine Packdichte höher als Blei.

Awtowoksal Bischkek

Awtowoksal Bischkek

Schnell noch ein paar Samsa (Blätterteigtaschen gefüllt mit Fleisch, Zwiebeln und Zeug) und zwei Flaschen Limo kaufen, ein Bordrestaurant ist nicht zu erwarten. Eine alte Frau hält Bananen durch die Fahrertür, eine andere Kirschen, Gurken, Tomaten. Der Bus fährt wie immer erst dann los, wenn er voll ist. Kommt man als einer der ersten Gäste, wartet man eben länger – feste Abfahrtszeiten sind auch hier Fehlanzeige. Was nicht mehr ins Gepäckabteil passt, steht eben im Gang. Ebenso wie ein Mann ohne Zähne und Fahrkarte, ein anderer hat sich gleich einen Hocker mitgebracht. Mein „voll“ ist ein anderes „voll“.

Je weiter wir nach Osten kommen, desto flacher, kleiner, bunter und verstreuter werden die Häuser, mehr und mehr erscheinen Schafherden, Kühe, Pferde vorm gebirgigen Horizont. Besagte Pferde sieht man nun öfter als Fortbewegungsmittel von Kindern, jungen Männern und Opas; Mädchen, Frauen und Omas gehen zu Fuß. An Kreuzungen mittig unbefahrene Dreiecke aus Schutt, Staub, Kiesel und klein gefahrenen Plastikabfällen. Gelegentlich stehen Menschen am Straßenrand, die von irgendjemandem mitgenommen werden wollen. Ein schmaler, fruchtbarer Streifen, einer Oase ähnlich, zwischen Hochgebirge und Yssyk-Köl auf 1600m Höhe wird geteilt von der Straße, aus der wir überladen dahin rasen und kaum Blicke für Dörfer aus Lehm, Holz und vergilbter Werbung finden, genauso wenig für die heruntergekommenen Sanatorien aus UdSSR-Zeiten, die irgendwie zwischen Betrieb, Abriss und Renovierung vor sich hin existieren. Es wird so lange auf der besseren Gegenspur gefahren, bis der Gegenverkehr hupt. In Kurven wird die Fahrbahn auf der vollen Breite ausgenutzt, der Fahrer telefoniert und raucht. Die Fahrbahn ist nicht die schlechteste, die Menschen hoffen und ertragen still. Züge findet man in diesem Land kaum, so hat sich der Busverkehr als das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel etabliert. Das weiß auch die Polizei, die alle 20km mit einer Radarfalle wartet.

Landschaft exisitert eher in der Ferne

Landschaft exisitert eher in der Ferne

Der kleine Junge mit den großen, dunklen Augen kann diese nicht von mir lassen. Die Hälfte der Fahrt muss er mal auf dem Schoß seines Vater, mal auf dem der Mutter sitzen und schielt oft von schräg vorne zu mir herüber. Als dann eine Stunde vor Ende der Fahrt zwei Fahrgäste aussteigen, darf er auf dem Sitz neben dem Fahrer sitzen und strahlt die ganze Zeit quer durch den Bus zu seinem Vater, der endlich schlafen kann. Es scheint die größte Reise seines Lebens zu sein.

Der Junge und der Vater

Der Junge und der Vater

P.S. Eine Marschutka ist ein semi-öffentliches Verkehsmittel, meist ein Transporter europäischer Bauart mit langem Radstand und Hochdach. Meist finden sich 13 bis 18 Sitzplätze, mal wurden sie nachgerüstet, mal wurde das Fahrzeug für diesen Zweck gebaut. Eine für deutsche ÖPNV-Verhältnisse undenkbar flexible Variante des außer- und innerstädtischen Kommunalverkehrs, der aber seit Jahrzehnten perfekt funktioniert, obwohl er nicht in dem Maße organisiert erscheint, wie es seine Umfänglichkeit erfordern würde.

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Mit dem Trolleybus zum Osh-Basar http://www.hntrlnd.de/?p=961 http://www.hntrlnd.de/?p=961#comments Sun, 08 Jun 2014 05:28:52 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=961 Kirschen für ne Mark

Kirschen für ne Mark

Steigst du in einen Trolleybus ein, dann merk dir die Station, die als nächstes kommt, um auf dem Rückweg genügend Zeit zu haben, dich durch die stehenden Fahrgäste zum Fahrer zu zwängen und rechtzeitig passendes Kleingeld bereitzuhalten, bevor du aussteigst. In meinem Fall waren das acht kirgisische Som, also ca. zehn Cent und die Haltestelle am Sportplatz auf der linken Fahrbahnseite, kurz nach der Autowerkstatt, wo die Teppiche zum Trocknen draußen hängen.

Ich bin zum Osh-Basar in Bischkek gefahren mit dem Trolleybus Nr. 4, um was zum Abendessen zu besorgen, einmal quer durch die Stadt. Feste Abfahrtszeiten Fehlanzeige, die Busse kommen in leicht unregelmäßigen Intervallen, die schlicht vom Verkehr abhängen. Am Rand des Basars ein großer Topf auf einem alten Kinderwagengestell, in dem Rindernieren, -herzen und -lebern mit Kartoffeln und Zwiebeln vor sich hin köcheln. Ich probiere, eine Portion kostet 30 Som, ich bestelle kurz vor Ladenschluss für 100. Die Verkäuferin schaut mich erschrocken an und fragt: „Sto?“ Ich sage: „Da, sto! Otschen fkusna!“ („Ja, 100! Sehr lecker!“) Sie hätte wohl nicht erwartet, dass ich Arme-Leute-Essen bestelle, ich bin schließlich Inostranez, Ausländer. Sie flüstert etwas zu ihrer Topfnachbarin, die Pelmeni verkauft, auch diese schaut erstaunt. Aber ich bekomme mein Essen in einer prallen, nach Innereien duftenden Plastiktüte.

Innereien mit Kartoffeln

Innereien mit Kartoffeln

Mit Kopfhörern, Sonnenbrille und Mütze vor den Ansprachen der Verkäuferinnen in der Gemüsehalle versiegelt, entscheide ich mich für die junge Mutter, die Salate verkauft. Die Mütze habe ich für zwei Euro von einem alten Opa gekauft, ich musste das größte Modell nehmen und selbst das passt knapp.

Der Autor mit seiner neuen Mütze

Der Autor mit seiner neuen Mütze

Ich probiere alles durch und nehme den scharfen Möhrensalat, den mit Möhren und Soja und den mit leckeren Gemüse, was ich nicht identifizieren und die Erklärung dazu nicht übersetzen kann. Egal, schmeckt lecker, mit viel Essig. Ich mit meiner gerade überstandenen Gastroösophagitis sollte das eigentlich nicht essen, aber wer weiß, wann ich nochmal dazu komme.

Die junge Salatmutti

Die junge Salatmutti

Noch zwei Weißbrote für 25 Som, Schnaps haben wir noch zuhause und ich sprinte mit meinen Tüten zurück in die Moskovskaja, dort fährt die Nummer Vier zurück nach hause. Bevor das Fleisch kalt wird. Der Stand mit Zeug In der Trockenfruchtecke Warten auf Godot Weinender Bettler
Im Bus mustern mich zahlreiche Blicke aufgrund der Gerüche aus meiner Tasche. Diese scheinen nicht zu meinem fremdländischen Aussehen zu passen. Alten Frauen wird selbstverständlich ein Sitzplatz freigemacht, neben mir will nur ein alter, dicker Mann sitzen, der sich nach drei Stationen lieber woanders hinsetzt. Als ich aussteige und 20 Som Fahrpreis an den Fahrer reiche, werde ich gefragt: „Adin?“ („Einer?“) Ich schaue mich um und frage: „Tui vidjesch dwa ljudei?“ („Sehen sie zwei Leute?“) Ich bin der letzte Fahrgast, der Busfahrer ist ob meiner Frechheit erbost. Habe mich wohl nicht an eine mir unbekannte Fingerzeig- oder Nennregel gehalten, was die Bezahlung der Fahrt betrifft. Es gibt Anschiss, den ich nicht verstehe, ich bedanke mich so freundlich es nur geht für den Hinweis und steige aus. Gut, dass ich mir den Sportplatz gemerkt habe; schlecht, dass ich vergessen habe, dass noch eine Station zwischen dieser und meiner liegt, so muss ich nun laufen. Schnell in eine Marschrutnaja springen, fällt aus, ich habe im Trolleybus überhebliche 10 Som Trinkgeld gegeben und nun nicht mehr genug Geld, also muss ich laufen. Neben mit her laufen die Hunde der Nachbarschaft, denn die Innereien aus der Tüte riechen einfach zu lecker. Ich werfe ein paar Streifen Möhren hin, das finden sie doof und bellen. Schnell nach Hause, an den Hanfpflanzen am Wegesrand vorbei. Bevor das Fleisch kalt wird.

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Isa aus Bischkek http://www.hntrlnd.de/?p=934 http://www.hntrlnd.de/?p=934#comments Fri, 30 May 2014 16:22:19 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=934 Isa aus Bischkek

Isa aus Bischkek

Das ist Isa, die Tochter unserer Nachbarn hier in Bischkek in Kirgistan. Sie ist vier Jahre alt und geht nicht in den Kindergarten, das können sich ihre Eltern nicht leisten. Ihre Mutter ist den ganzen Tag zuhause, ihr Vater fährt vor dem Aufstehen auf Arbeit und kommt erst im Dunkeln zurück, dann sitzt er mit einer großen Flasche Bier auf der ausgebauten Sitzbank seines Transporters im Hof und raucht mit der Mutter. Isa hat noch einen Zwillingsbruder, Igor, und einen großen Bruder, Ivan, der geht schon zur Schule. Am zweitmeisten mag sie Tiger, die fauchen; einen davon trägt sie an einem Faden durch die Gegend, aber einen Namen hat er noch nicht. Am allermeisten aber mag sie ihre Metallflöte, auf der sie sich den halben Tag schief durch die Straßen der Nachbarschaft flötet, langsam ist eine Melodie zu erkennen. Aber sie muss sich oft mit Igor darum streiten, der will auch immer Flöte spielen. Wenn sie sich nicht einigen können oder die Flöte mit Erde verstopft ist, greift Ivan ein oder Mama schimpft. Papa ist nie da. Manchmal spielt Isa auch mit den bunten Platikflaschendeckeln im Hof oder scheucht den kleinen, zerzausten, schwarzen Hund über den Hof. Sie lacht oft, guckt neugierig in unsere Einkaufstüten und fragt uns, warum wir so viele Haare im Gesicht haben. Ich glaube, Isa ist ein glückliches Kind.

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